Christine, Jahrgang 1970

Erfahrungsberichte: Myasthenia gravis

Ich werde im April 31 Jahre. Die ersten sehr kleinen leisen Anzeichen der MG hatte ich 1985; ich war damals 15 Jahre alt. Ich habe damals sicher nicht realisiert, daß diese leichten Symptome (manchmal verkrampftes Lachen, dann wieder einmal sehr „müde“ Augen oder kraftlose Arme und Beine) eine Krankheit seien. Erst als ich 19 Jahre alt war, in der Zwischenzeit war mein Allgemeinzustand schon sehr im Argen (ich konnte kaum noch gehen, im Gesicht regte sich auch kaum mehr ein Muskel), und ich von einem Arzt zum nächsten gepilgert war (von Hysterie bis Hirntumor hatten mir die konsultierten Ärzte jede Menge attestiert), landete ich bei einem „guten“ MG-kundigen Neurologen, der mich dann auch gleich stationär unterbrachte.

Nach der medikamentösen Einstellung mit Mestinon und Kortison fühlte ich mich zwar besser, aber mein Zustand war sehr instabil und meine Seele litt sehr darunter.

Zwei Jahre später wurde ich thymektomiert. Danach stabilisierte sich mein Zustand langsam. Ich habe mir damals sehr viel Zeit genommen, mir mit meiner Myasthenie ein neues Leben auszudenken, neu gehen zu lernen, sprechen zu lernen, ich habe mir neu ausgedacht, wie ich mir meine Gestik und meine Mimik vorstelle, das war ein Weg für mich, wie ich mit der Tatsache leben konnte (und kann), daß manches nicht geht oder eben nur anders.

Heute – zehn Jahre später- lebe ich mit meiner MG ganz gut. Es gibt da diese Ups und Downs, die alle von euch kennen, aber bei mir spielen sie sich in einem sehr akzeptablen Rahmen ab. (Das klingt jetzt, als hätte ich überhaupt keine Probleme: Aber ihr wißt, daß das nicht so ist, aber nur wenn man sich nicht zu viele Sorgen macht, irgendwie mit den schlimmen Zeiten lebt und davon ausgeht, daß sie auch wichtig sind, dann kann man ein glückliches Leben führen – und ich denke, das wollen wir alle).

Ich habe klassische Malerei und Soziologie studiert (die Soziologie habe ich nicht fertig gemacht). Seit fünf Jahren arbeite ich nun ganztags. Ich mache Grafiken und Layouts und Seminarunterlagen und all solche Sachen. (Arbeit fürs Hirn und die Phantasie, nicht ganz so manuell – eben MyasthenikerInnen-Arbeit).

Letzten Herbst hatte ich eine Fehlgeburt im fünften Monat. Das hatte nichts mit meiner MG zu tun. Die Schwangerschaft stand einfach von Anfang an unter einem schwarzen Stern. Ich glaube, ich habe damals zu viel gearbeitet (neben meinem Bürojob haben mein Freund und ich dann an den Wochenenden einen Dachboden ausgebaut). Insgesamt war mir das irgendwie alles zu viel. Und mein Söhnchen hat sich dann dazu entschlossen, erst ein bißchen später auf die Welt zu kommen.

Jetzt bin ich wieder schwanger. Ganz am Anfang und ich denke, daß mein totes Kind auf mich und seine Schwester aufpaßt (das ist nur so ein Gefühl, daß es ein Mädchen wird, wissen kann man das jetzt natürlich noch nicht). Ich freue mich wahnsinnig. Und diesmal – mit meinem Kind als Schutzengel – bin ich auch sehr sehr zuversichtlich.

Schöne Grüße an Euch alle, die ihr mit eurer ganz persönlichen Myasthenie den Tisch, das Bett, das ganze Leben teilt. Seit gut zu ihr, dann ist sie es auch zu euch.

Christine