Eva, Jahrgang 1965

Erfahrungsberichte: Myasthenia gravis

Ich weiß nicht so genau wann bei mir die Krankheit losging. Ich habe nämlich noch ein anderes Problem. Auf meinem rechten Auge bin ich seit der Geburt fast blind.

Nun bin ich mit 16 Jahren in die Friseurlehre gegangen und hatte eigentlich keine Probleme, den Kunden die Haare zu waschen, Wickel einzudrehen und auch das Föhnen bereitete mir keine Schwierigkeiten. Die Gesellenprüfung bestand ich und wurde auch sofort übernommen. Zwischendurch gab es wohl einige Anzeichen von Schwäche, aber ich musste ja nun voll arbeiten und die Zeit, um sich in der Berufsschule auszuruhen, gab es nicht mehr. Irgendwann wollte ich auch Führerschein machen und ging zur augenärztlichen Untersuchung. Der stellte dann erstmals fest, daß ich am rechten Auge am grauen Star erblindet bin und dies könne man operativ entfernen. Ich machte erst mal meinen Führerschein, denn ich hätte erst wieder richtig „sehen“ lernen müssen.

Nach einer Weile bemerkte ich, das mein rechtes Augenlid anfing, jeden Abend nach unten zu hängen und ich Mühe hatte, es zu öffnen. Natürlich ging ich sofort zum Augenarzt und dieser meinte, das ist ganz normal, wenn der Augenmuskel sich zurückentwickelt, und es wäre wohl dringend Zeit zum operieren. Er überwies mich in die Uniklinik nach Frankfurt. Dort wurde vom Professor eine ganz andere Diagnose gestellt. Den grauen Star am Auge kann man nach 18 Jahren nicht mehr operieren und das runterhängende Augenlid wäre eine Schönheitsoperation und von mir selber zu zahlen!! Was ein Schock für mich.

Aber mit diesem Ergebnis gab ich mich nicht zufrieden und bin in die Uniklinik nach Gießen gefahren. Dort ist man zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen und ich hatte einen Termin zur OP. Aber warum ist mir morgens denn immer so übel? Oh Gott, ich bin schwanger!! Muß ich den Termin für die Augen-OP absagen? Nein, dies wird nur unter örtlicher Betäubung gemacht und stellt kein Problem da. Dann bin ich ins Krankenhaus gegangen mit großen Bauchschmerzen und Angst. Ich wurde nochmals gründlich untersucht und plötzlich saßen mir einige Ärzte gegenüber mit grübelnden Gesichtern. Ich kam mir vor wie ein Versuchskanikel und würde heute diese Tests in der Schwangerschaft nicht mehr machen.

Man rief auch einen Neurologen zu Rate und nach einigen Tests (auch Tensilontest – trotz Schwangerschaft. Aber mir wurde ja immer versichert, das nichts passieren kann) war man sicher. Myasthenia gravis. Was ist das für eine Krankheit? Nachdem mir die Krankheit sehr ausführlich erklärt wurde, stand nun eine ganz andere Frage im Raum. Soll man nun den grauen Star überhaupt noch operieren? Wir sind alle der gleichen Meinung gewesen, es zu lassen. Nun hatte ich nämlich Glück im Unglück. Die eventuellen Doppelbilder, die viele MGler haben, würden sich bei mir noch extremer auswirken, weil mein Gehirn in 20 Jahren nicht gelernt hat, aus beiden Bildern der Augen eins zu machen.

Nun kam die nächste unangenehme Frage. Was ist mit dem Kind, was ich bekomme? „Wie, Sie möchten das Kind behalten? Wir können Sie gleich weiter in die Gynäkologie zum Abbruch überweisen!!!!! Wir haben Ihnen doch erklärt wie schlimm die Krankheit werden kann.“ (Ja das haben die Ärzte wirklich.)

Bis dahin habe ich die ganze Sache allein durchgehalten, doch dann war ich sehr froh, das mein damaliger Freund (heute Ehemann) mir die schwere Entscheidung abnahm und sagte: Wir behalten das Kind!!! Über die Gefühle brauche ich wohl nichts zu schreiben. Ich denke jeder weiß, wie es ist die Nachricht zu bekommen, das man MG hat. Auch ich fiel erst einmal in ein tiefes Loch. Doch ich, nein jetzt wir, hatten einiges vorzubereiten. Mein Mann und ich heirateten (trotz Vorbehalte der Verwandten), wir bauten unser Nest und freuten uns auf das Kind.

Die Schwangerschaft verlief ganz normal. Ich habe bis zum 7. Monat immer noch als Friseurin gearbeitet. Ich habe während der Schwangerschaft kein Mestinon genommen und fühlte mich sehr gut dabei. Mein Neurologe war immer ganz erstaunt. Vielleicht war es das Glücksgefühl, das Kind zu bekommen. Die Kontrollen beim Frauenarzt waren etwas häufiger als bei nicht MG-Kranken. Auch wurde öfter Ultraschall gemacht und hätte sich dort etwas Auffälliges ergeben, wäre ich zur Schwangerenrisikobe ratung geschickt worden. Aber alles war bestens.

Als sich der errechnete Geburtstermin näherte, wurde ich vom Frauenarzt in die Klinik eingewiesen. Dort kam in der darauffolgenden Nacht ohne Einleitung und ohne Komplikationen unser Sohn auf die Welt. Er wurde dann sofort von einem Kinderarzt und Kinderneurologen untersucht und unter Beobachtung gestellt. Mir wurde dann mitgeteilt, das er keine Anzeichen von einer Neugeborenen-MG hat. Auch einige Tage später konnte ich nicht feststellen, das er Probleme beim Trinken hatte (er wurde gestillt).

Nach einer Woche Aufenthalt in der Uniklinik fuhren wir Heim. Dort entwickelte sich der Kleine prächtig und ist heute 16 Jahre alt. Bei mir standen nun noch einige Termine auf dem Plan. Einstellung von Mestinon und vor allem Thymektomie. Nachdem ich 6 Monate gestillt hatte und mir die Ruhe mit dem Kind sehr gut tat, ging ich zum Neurologen. Der verschrieb mir dann Mestinon, ab dann nahm ich alle 3Std 3Tabl.=150mg. Das war in Ordnung. Denn mein Augenlid hing nicht mehr runter und in den Armen oder Beinen hatte ich sowieso keine Probleme. Nun, einige Wochen später sollte ich zur Thymektomie.

Aber ich hatte ein erneutes Problem: ICH WAR SCHWANGER…

Nachdem ich also innerhalb eines halben Jahres wieder schwanger war und mein Neurologe die Hände über dem Kopf zusammenschlug, war an Thymektomie natürlich wieder nicht zu denken. Die zweite Schwangerschaft verlief dann schon nicht mehr ganz so gut. Als erstes hatte ich ja noch ein Baby von einem halben Jahr zu Hause. Dies war schon sehr anstrengend. Zum zweiten stand für uns ein Umzug an. Und ich dachte immer ich muß kräftig mithelfen. Und da war ja noch die Krankheit, die ich einfach verdrängte.

Ich nahm meine Mestinontabletten in der 2. Schwangerschaft weiter, da es mir körperlich damit besser ging und vor allem das Augenlid hing nicht mehr herunter. Die Vorsorgeuntersuchun gen beim Frauenarzt verliefen ganz normal ab. Man ist dort als Risikoschwangerscha ft registriert und der Arzt ist auch sehr interessiert an der Krankheit, da er bei uns am Ort noch nie eine MG-Schwangere hatte. Ich muß dazu sagen das meine Geschichte schon 17 Jahre her ist und ich mir oft wie ein Versuchskanikel vorkam. Die Geburt verlief wieder ganz spontan und es war ein gesundes Mädchen mit dem stolzen Gewicht von 4040g!!

Alle waren happy. Nun habe ich etwas verrücktes gemacht. Ich bin nach 6 Stunden wieder nach Hause gefahren. Zu Hause hatte ich alles abgeklärt. Die Hebamme kam 2x täglich, ich konnte zum Frauenarzt gehen wegen der Nachsorge und das Wichtigste, ich hatte einen guten Kinderarzt! Er kam zu uns nach Hause und untersuchte die Kleine, macht die U2-Neugeborenenuntersuchung. Er schaute ob sie eine NeugeborenenMG hat. Dies war alles nicht vorhanden, trotzdem ließen wir sie nicht aus den Augen. Ich hatte wieder gestillt (manchmal weiß ich gar nicht so genau ob ich dazwischen mal aufgehört hatte). Die Stillzeit war diesmal ziemlich lang (10 Monate), so das meine Tochter von der Brust gleich an den Mittagstisch konnte.

Aber wie ging es mir? Beschissen.

Nachdem das Mestinon, in der Menge in der ich es einnahm, nicht mehr half war ich körperlich fertig. Mein Augenlid hing runter, ich hatte immer ein trauriges Gesicht (Gesichtsmuskeln waren schlaff, Kauen, Sprechen war schwer), ich hatte keine Kraft in den Armen, so das ich meine Kinder auf der Erde wickelte. Ich mußte mir für mein Tochter ein Tragetuch kaufen, weil ich sie sonst nicht tragen konnte. Mein Erstgeborener lief zum Glück schon. Meine Beine waren schlapp und dann wurde ich auch noch inkontinent.

Da war für mich Schluß. Ich habe sehr schnell meine Tochter abgestillt und habe mich mit meinem Neurologen abgesprochen. Da war guter Rat teuer. Stationär ins Krankenhaus wollte ich nicht. Denn die Klinik ist nicht gerade um die Ecke. Wir haben eine Stunde Fahrzeit einfach, deshalb habe ich mich auch für eine ambulante Entbindung entschieden.

Der Neurologe beschloss, das ich erst einmal eine Cortisonkur machen sollte, das haben wir so geregelt: Ich habe jeden Tag bei ihm vor seiner Sprechzeit angerufen und wir haben einige Tests am Telefon durchgeführt. Das hört sich unglaublich an, aber es mir geholfen. Ich war in meiner vertrauten Umgebung, mein Mann hat mich gut versorgt und meine Kinder hatten ihre Mama.

Als ich mit dem Cortison fertig war ging es mit Imurek und Mestinon weiter. Bis ich dann gut eingestellt war dauerte dann eine Weile, zeitweilig war ich dann auch schon mal überdosiert, aber heute habe ich es gut im Griff. Nun dachte mein Neurologe doch schon wieder an die Thymektomie. Ich war sehr dagegen, denn er konnte mir gerade mal 50:50 anbieten. Ich war sehr skeptisch und habe es bis heute nicht machen lassen, jetzt ist es sowie so zu spät.

Nun dachte ich könnte ich mich doch mal sterilisieren lassen, denn die Familienplanung war abgeschlossen. Gesundheitlich ging es mir sehr gut. Die ganzen Beschwerden nach der Geburt waren weg. Die Kinder wurden größer, das Erste ging in den Kindergarten, wir waren gerade am Haus bauen, uns ging es gut! Ich ging zum Frauenarzt und wollte informiert werden über eine Sterilisation, der Arzt sagte aber ich sei noch zu jung mit 24 Jahren. Das war alles etwas absurd.

Erst hätte ich gar keine Kinder bekommen sollen und jetzt so was. Meinem Mann wollte ich das auch nicht zumuten, denn er war auch noch unter 30. So wurschtelten wir mit anderen Verhütungsmitteln rum. Pille habe ich nicht vertragen, mit der Spirale hatte ich ständig Unterleibsschmerzen und das Kondom zu unromantisch.

Und was soll ich sagen, nach unserem Umzug ins neue Haus war ich wieder schwanger…..

Jetzt mit der 3. Schwangerschaft hatte ich das erste Mal richtig Angst um mich und um mein Kind. Ich habe bis zum Erkennen der Schwangerschaft (10.Woche) meine Tabletten ( Mestinon und Imurek) eingenommen und keiner der Ärzte konnte mir so richtig sagen ob es dem Kind schadet, da ja noch nicht viele Erkenntnisse gesammelt wurden. Also war ich mal wieder ein Versuchskaninchen. Nun schickte mich der Frauenarzt zur Risikoschwangerenbe ratung. Denn plötzlich, 4 Jahre nach der letzten Entbindung, war es möglich das mein Kind eventl. Mißbildungen haben könnte. Im Ultraschall war nichts zu sehen.

Nun stand eine Fruchtwasseruntersu chung auf dem Plan. Die haben mein Mann und ich dankend abgelehnt. Man kann jetzt denken was man möchte, aber erstens standen wir schon einmal vor der Entscheidung ob wir das Kind bekommen sollen oder nicht. Und zweitens ist auch diese Untersuchung nicht ganz ungefährlich. Vielleicht haben wir das Glück ziemlich herausgefordert, doch es war in dieser Hinsicht auf unserer Seite.

Diese Schwangerschaft verlief so nebenher, da ich ja schon 2 Kinder hatte die mich ziemlich forderten. Ich muss aber dazu sagen, dass es mir während den Schwangerschaften immer gut ging. Ich habe die Mestinontabletten weiter genommen, aber Imurek habe ich weggelassen.

Ab und zu bin zu meinem Neurologen gefahren (der war natürlich nicht begeistert von der 3. Schwangerschaft) um für die Entbindung alles vorzubereiten. Die Vorsorgeuntersuchun gen beim Frauenarzt habe ich auch alle wahrgenommen, nun wurde es langsam Zeit das das Kind kommt. Weihnachten stand vor der Tür und alle meinten es wird ein Christkind. Es wurde auch fast ein kleines Christkind aber 3 Tage früher.

Die Geburt war wieder ganz spontan und ziemlich schnell. Um 7.20 Uhr weckten mich die Wehen und um 9.21 Uhr war der Wonneproppen da. Ein Junge, 3.900g schwer und 55cm lang. Das war geschafft. Da ich ja schon einmal gute Erfahrung mit der Ambulanten Geburt hatte, habe ich mich wieder dazu entschieden. Meine Hebamme hat fast mit uns Weihnachten gefeiert, der Kinderarzt kam am 1. Weihnachtsfeiertag zur U2 zu uns nach Hause und nach den Feiertagen ging ich zur Nachsorgeuntersuchu ng zum Frauenarzt. Mein Sohn hatte zum Glück auch keine Neugeborenen-MG. Wir sind alle froh das alles gut ging.

Da wir das Glück nicht mehr herausfordern wollten, hat mein Mann sich entschlossen sich sterilisieren zu lassen. Das war auch gut so. Wer weiß wie viele Kinder wir noch hätten??

Und heute? Mir geht es gesundheitlich gut. Ich nehme Imurek (3x150mg) und ca.200mg Mestinon täglich. Vor 2 Jahren wurde mir die Schilddrüse entfernt, weil man erst den Verdacht auf ein Thymom hatte?! Im Moment sieht mich mein Neurologe sehr wenig und für meinen Hausarzt bin ich ein Rätsel. Wenn alle husten und schnupfen bin ich standhaft wie eine deutsche Eiche.

Ich gehe arbeiten, mache Sport und trotz meiner Krankheit habe ich meinen Optimismus nicht verloren.