Jutta, Jahrgang 1960

Erfahrungsberichte: Lambert Eaton Syndrom

Es begann im Sommer 2003, dass ich zunehmende Schwierigkeiten beim Treppensteigen hatte und beim Hausputz nur noch so grade eben in die Knie gehen konnte. Hinzu kamen ungewöhnliches Kribbeln in den Oberschenkeln und Armen und verschwommenes Sehen. Insgesamt war ich in diesem Sommer deutlich weniger aktiv als zuvor. Da ich im Frühjahr eine ganz hartnäckige Angina hatte und es – trotz Antibiotikum! gut vier Wochen dauerte, bis sich die Beschwerden halbwegs zurückbildeten, glaubte ich ernsthaft, was „verschleppt“ zu haben.

Als es allmählich auf Weihnachten zuging, war bereits tagsüber meine gesamte Kleidung ohne große Bewegung durchgeschwitzt. Schlagartig um 17.00 – ich konnte die Uhr danach stellen – trat ein unangenehmes „Ziehen“ in Oberschenkeln und Beinen auf. Meine ersten Doppelbilder registrierte ich beim abendlichen Fernsehen. Mittlerweile war ich nicht mehr in der Lage, meinen Haushalt alleine zu führen. Duschen und Haare waschen, was im Sommer noch klappte, entwickelte sich zur  „Königsdisziplin“. Meine Familie musste für mich einkaufen, kochen etc., auch die Aussprache klang verwaschen. Ich erinnere mich noch genau, wie meine Mutter mich allen Ernstes frug, ob ich was getrunken hätte. Das Gefühl einer trägen Zunge – wohlgemerkt ohne Alkoholeinfluss – in Kombination mit Doppelbildern machte mir allmählich Angst.

Mein damaliger Internist behandelte meine Schilddrüse, die zu dieser Zeit ständig in der Über- und dann wieder in der Unterfunktion war. Er schob einen Teil meiner Beschwerden meiner Hashimoto-Thyreoiditis (chronische Schilddrüsenentzündung mit Auto-Antikörpern) zu. Als mein Zustand sich weiterhin verschlechterte, tippte er interessanterweise auf „Myasthenia gravis“ und überwies mich im Januar 2004 zu einer Neurologin. Sie diagnostizierte stattdessen „chronische Erschöpfung“ mit einhergehender Schilddrüsenproblematik und schrieb mich erstmal arbeitsunfähig. Meine Doppelbilder wurden dem niedrigen Blutdruck zugeschoben. Somit landete ich dann wieder beim Internisten. Innerhalb der nächsten Wochen ging es kräftemäßig weiter bergab, so dass mich diese rapide Verschlechterung stark beunruhigte.

Ende Februar 2004 überwies er mich in die ortsnahe Uniklinik. Laufen ging jetzt nur noch im „Schneckentempo“. Es bestand Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Mein gesamter Körper war  schwer wie „Blei“, insbesondere die Beine. Nachts hatte ich Probleme, mich im Bett herumzudrehen. In der Notfallaufnahme wurde ich noch am selben Abend stationär aufgenommen. Die Klinik diagnostizierte nach drei Wochen Myasthenia gravis, war aber aufgrund einiger „Ungereimtheiten“ nicht wirklich sicher. Kein eindeutiges EMG, nur eine leichte Ptose am linken Auge, keine ausgeprägten Kau- und Schluckbeschwerden, bis dato sero-negativ. Mestinon schlug nur mäßig an. Es wurde mir initial 60 mg Kortison verordnet. Kurz danach ging es mir noch schlechter. Mein gesamter Körper war wie „Blei“. Während einer Visite erwähnte dann ein Neurologe das „Myasthenische Syndrom“. Die Reflexe, besonders an den Knien, waren nur schwer auslösbar, nach Kraftanstrengung ging es besser. Ein ganz neuer EMG-Test wurde durchgeführt, wonach sich der Verdacht auf ein Lambert-Eaton-Syndrom sofort bestätigte. Anschließend folgte zur weiteren Absicherung ein erneuter Antikörpertest-Test. 14 Tage später kam das Ergebnis. VGCC-Antikörper vom Typ P/Q. Das war dann das Lambert-Eaton-Syndrom. (Damals war ich übrigens die 3. Patientin mit LEMS seit Bestehen der Universitätsklinik!)

Sofort wurde die aktuelle Medikation um das bei LEMS erforderliche 3,4 Diaminopyridin (3,4 DAP) erweitert. In den ersten 14 Tagen verbesserte sich die Lauffähigkeit und meine Kraft nahm insgesamt wieder etwas zu. Bis zur Diagnose dauerte es damals gute 5 Wochen, was sehr schnell war. Aufgrund der Gefahr eines kleinzelligen Tumors beim Lambert-Eaton-Syndrom wurde direkt 2 Wochen nach der Entlassung ein PET in der Klinik durchgeführt. Das Ergebnis war negativ. Es folgten Bronchoskopie, Magenspiegelung, Mammographie. Ein weiteres PET wurde direkt nach einem guten halben Jahr gemacht, das letzte war dann 2007, bis jetzt sind alle Untersuchungen ohne bösartigen Befund.

Bei meiner Entlassung überließ mir die Apotheke der Universitätsklinik ca. 50 Kapseln 3,4 DAP. Bis zu diesem Zeitpunkt blieb ungeklärt, welche Apotheke künftig diese Kapseln für mich herstellen könnte. 3,4 DAP ist eine Substanz, die der Apotheker hier in Deutschland nur mit einer „Sonder-Lizenz“ herstellen darf. Und viele Apotheker lehnen die Herstellung der Kapseln ab, weil es sich aufgrund der geringen Nachfrage nicht lohnt! Ich hatte das Glück, dass sich die Klinik mit meiner „LEMS-Vorgängerin“ in Verbindung setzte. Sie war dann so nett und gab mir die Adresse ihres Apothekers. Seitdem beziehe ich dort ebenfalls das 3,4 DAP. Mit der Krankenkasse gab es auch keine Probleme. Das ist leider nicht immer so. (im Falle einer Nichterstattung durch die Kasse bietet die DMG Bremen wirklich professionelle Unterstützung an).

Seit Ende 2004 nehme ich Azathioprin. Zwischendurch schlug ein Versuch mit CellCept fehl, es verursachte neben fehlender Immunsupprimierung „Dauerhusten“ und Muskelschmerzen und musste nach vier Monaten abgesetzt werden. Seitdem nehme ich wieder Azathioprin. Mein Gesamtzustand ist zwar halbwegs „stabil, wie es immer so schön heißt, … bin aber seit 2005 in voller Erwerbsminderungsre nte. Verwaschene Aussprache und Doppelbilder haben sich glücklicherweise stark zurückgebildet. Ab und an treten bei schlechtem Befinden Wortfindungsstörungen und einhergehende Konzentrationsstörungen auf. Im August habe ich nach zwei Jahren wieder „Immunglobuline“ stationär für drei Tage erhalten. Mal sehen, ob diese Therapie jetzt weiterverfolgt wird, oder ob ich doch noch auf ein anderes Immunsuppressivum umsteigen muss.

Eine gravierende Nebenwirkung meiner Immuntherapie ist heute eine Nebennierenrindensc hwäche in Verbindung mit Osteoporose durch langjährige Kortisoneinnahme. Aus diesem Grunde nehme ich seit August 2007 Hydrocortison (körpereigenes Kortison) zur Stimulierung der Nebennierenrinde. Mittlerweile komme ich mit 10 mg aus  (umgerechnet ca. 2,5 mg Decortin H). Es wäre schön, wenn ich den Rest auch noch weglassen könnte, bin aber froh, mittlerweile mit so wenig Kortison auskommen zu können. Zur Behandlung meiner Osteoporose stehen – neben Calcium und Vitamin D3 – jetzt Bisphosphonate zur Debatte. Die nächste Knochendichtemessun g will man noch abwarten.

Aufgrund meiner Beschwerden bis dato habe ich mit Hilfe des VDK im Sommer 2008 Klage beim Sozialgericht eingereicht, da mein niedergelassener Neurologe der Meinung ist, mir stünde ein höherer GdB zu. (aktuell bin ich mit 50 % und G eingestuft worden.) Durch die regelmäßige Einnahme meiner Medikamente bin ich zu einem Kinobesuch in der Lage oder gehe mit Freunden oder Bekannten mal gemütlich einen Cappuccino trinken in den zahlreichen Lokalitäten Aachens. Vor meiner Myasthenie bin sehr gerne „auf Achse“ gewesen, habe Jahrmärkte und viele öffentliche Veranstaltungen besucht. Ich war und bin sehr gerne unter Menschen.

Es wäre toll, irgendwann wieder mobiler und selbständiger zu sein. Zwischendurch surfe ich im Internet, befasse mich – wenn es meine Konzentration und Tagesverfassung zulässt – mit der PC-Flugsimulation (MS Flight Simulator) und dem Keyboard spielen für den Hausgebrauch. Dabei kann ich ganz gut abschalten.

Ende 2007 gab mir eine LEMS-Patientin, die ich damals durch die DMG kennen lernte, den „heißen Tipp“, einfach mal auf Wiebkes Seite vorbeizuschauen, was ich dann auch tat. Nach anfänglichen „Startschwierigkeite n“  … registrierte ich mich im Januar 2008 als Mitglied. Seit März d. J. gibt es erfreulicherweise auch ein eigenes Lambert-Eaton-Forum. Es wird noch nicht so stark besucht, aber mit der Zeit werden sicherlich mehr LEMS’ler zu uns finden, wobei auch MG’ler immer gerne im neuen LEMS-Forum willkommen sind. Mittlerweile vergeht kein Tag, an dem ich nicht im Forum vorbeischaue und die vielen, interessanten Beiträge lese mit der Feststellung, ich bin nicht alleine…