Kerstin, Jahrgang 1973

Erfahrungsberichte: Myasthenia gravis

Alles begann eigentlich damit, dass mich zwei Arbeitskollegen, völlig unabhängig voneinander, darauf aufmerksam machten, doch mal endlich „die Döppen richtig aufzumachen“. Nach intensiven Betrachtungen vorm Spiegel und dem Wissen, dass ich schon immer eine Ptosis des rechten Auges habe, beschloss ich erstmal, dass da ja alles normal sei.

Aus irgendwelchen Gründen machten mich aber wieder völlig unabhängig voneinander mehrere Leute auf das Augenlid aufmerksam. Das Gefühl der Müdigkeit erklärte ich mir mit zuwenig Schlaf, dann mit müde geschlafen, bis mir das Ganze dann doch irgendwie komisch vorkam und ich wirklich in Richtung Mediziner losstiefelte.

Zuerst zur Hausärztin. Außer einer Überweisung zum Augenarzt und zum Neurologen konnte sie erstmal nicht sehr viel für mich tun. Also zum Augenarzt. Da ich seit meinem zweiten Lebensjahr eine Brille trage und seitdem bei ihm in Behandlung bin, wusste er von der Ptosis, dem Rotationsnystagmus usw.

Im nachhinein erinnere ich mich daran, das bereits auf der Überweisung zum Neurologen unter Verdachtsdiagnose „Myasthenia gravis“ stand. Und auch das mein Augenarzt schon diese unterstützte. Er riet mir auch zum Besuch beim Neurologen. Ich suchte mir also den aus, dessen Praxis gleich „um die Ecke“ gelegen ist. Nach den üblichen Neurologen-Tests und einer Blutabnahme, kam ich mir vor, als sei ich nicht „ganz dicht“ und zweifelte an meinem Verstand.

Aber er konnte ja reden, was er wollte, irgend etwas stimmte da nicht, dessen war ich mir sicher. Also zur nächsten Neurologin, mit einem deutlichen volleren Terminkalender, so dass auch gut ein Monat verstrich, in dem ich auf einen Termin wartete. Auch sie machte „die üblichen Tests“. Als sie aber auch zu keinem Ergebnis kam, meinte sie, es gäbe da noch eine Autoimmunerkrankung, die aber recht selten sei und schickte mich zur Diagnose in ein Krankenhaus, mit einer erfahrenen Neurologie.

Am 11. Juni 99 wurde ich dort stationär aufgenommen. Nach gut 10 Tagen, in denen man mich völlig auf den Kopf gestellt hatte (EKG, EEG, EMG, Lumbalpunktion, Blutanalysen, Tensilon Test, etc) war man sich noch immer nicht darüber einig, was das denn ist, was ich da habe. – Inzwischen hatte ich, wenn ich richtig hundemüde war, schon Sehstörungen. –

Doch dann kam die damals zuständige Neurologin auf mich zu und meinte, es gäbe da noch einen Test, den sie noch durchführen wolle und wenn auch der negativ sei, könne ich nach Hause gehen. Wieder fühlte ich mich als sei ich eine Simulantin. Dieser Test war der sogenannte „Curare Test“. Durchgeführt wurde er im OP des Krankenhauses, wo Oberarzt, Neurologin und Anästhesistin anwesend waren, damit nichts passieren konnte.

Nach 8 Einheiten Curare-Ersatzstoff wurde mir plötzlich übel, dann begann sich alles zu drehen, Doppelbilder, alles was ich ansah, vibrierte von oben nach unten; dann wurden die Augenlider schwerer, so schwer, dass ich sie nicht mehr aufhalten konnte, meine Zunge wurde auch schwerer, Sprechen ging irgendwann auch nicht mehr; als man mir das Gegenmittel spritzte, hatte ich Probleme beim Luft holen.

Dann verschwanden die Symptome in umgekehrter Reihenfolge wieder. – Man könnte diese viertel oder halbe Stunde mit „Vollrausch und zurück in dreißig Minuten“ beschreiben. Da war es also raus: „Myasthenia gravis“. Schon am 20. Juli 1999 war ich zur stationären Aufnahme in der Uni-Klinik. Nach den Untersuchungen und anfänglichem hin-und-her (OP oder nicht OP), wurde ich dann am 22. Juli 99 thymektomiert. – Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits deutliche Doppelbilder. –

Nachdem ich endlich wieder auf „Normal-Station“ lag und ENDLICH wieder schlafen konnte, schlugen dann die Pathologen Alarm, weil das, was sie in der Schüssel geschickt bekamen, war aus irgendwelchen Gründen weniger, als das was auf den CT-Bildern zu sehen war. – Die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, waren schon klasse. – Eine neue CT-Aufnahme klärte dann aber Gott-sei-dank auf, das da kein Thymus mehr sei. Nach insgesamt 11 Tagen wurde ich symptomfrei entlassen.

Nachdem ich den ganzen August krankgeschrieben war, konnte ich am 1. September 1999 endlich wieder arbeiten gehen und mein Leben wieder ordnen. War ich glücklich. Etwa Mitte September waren dann die Doppelbilder wieder da … und ich Anfang Oktober wieder in „meinem“ Krankenhaus zur Medikation.

Nach drei Wochen, in denen ich das Gefühl hatte, das so gut wie gar nichts passiert, war ich auf 75 mg Imurek und 90 mg Mestinon retard eingestellt. Bis Mitte 2000 ging das mit dieser Medikamenten-Dosis auch recht gut. Tja, ging … Nachdem ich meiner ortsansässigen Neurologin von Schluckstörungen am Abend berichtete, und sie nicht reagierte, ließ ich mir einen Termin bei einem sehr erfahrenen Neurologen Prof. Dr. geben.

Er stellte fest, dass sich die zu Beginn rein okuläre Myasthenie im Verlauf zu generalisieren begann und empfahl, meine Medikation höher anzusetzen. Meine Neurologin setzte vorsichtig die Imurek Dosis etwas höher, und nahm das Mestinon 60 dazu. Und seitdem ich wegen einer Hyperventilation (am ersten Tag der erhöhten Dosis) per Krankenwagen abgeholt wurde und sich das Krankenhaus per Fax alle Unterlagen angefordert hatte, bin ich mit ihr sehr zufrieden.

Inzwischen bin ich bei 100 mg Imurek, 90 mg Mestinon retard und 120 mg Mestinon 60 angelangt. Solange ich mich an die Spielregeln, die meine Myasthenie aufstellt halte, geht es mir mit dieser Dosis recht gut. Die ursprünglich rein okulären Symptome sind so gut wie verschwunden. Was mir jetzt zu schaffen macht, sind Sachen wie Schluckstörungen und die Kaumuskulatur. Aber Pizza und Kotelett muss man ja auch nicht unbedingt abends essen, oder?

Sieben Monate später

Seit meinem letzten Bericht hat sich bei mir eine ganze Menge getan. Anfang März wurde meine MG dermaßen unausstehlich, dass ich mal wieder zu meiner Neurologin mußte. Kauen und schlucken fiel schon 2 Stunden nach der Retard-Tablette derart schwer, ein ständiges Muskelzittern im linken Daumen und ein andauerndes „Muskelgeblubber“ in den Oberschenkeln, Probleme beim Treppensteigen etc.

Dazu meinte meine DAMALIGE Neurologin nur, dass man die Mestinon Dosis erhöhen müsse. Inzwischen war ich bei 125 mg Imurek, 90 mg Mestinon retard und 180 mg Mestinon 60 angekommen!! Inzwischen wußte ich auch von anderen MG’lern mit mehr Symptomen und deutlich weniger Medikamenten… Zumal sich die Symptome mit wachsender Medikamenten-Einnahme mehr und mehr verschlechterten, worauf ich meine Neurologin zwar aufmerksam machte, nur sie leider nicht reagierte.

Sodas ich letztendlich mit der Neurologie eines Krankenhauses in der Nähe telefoniert habe. Die meinten nur: „Morgen früh, acht Uhr!“ Innerhalb meines dreiwöchigen Aufenthaltes im Krankenhaus stellte sich heraus, dass meine Medikamente viel zu hoch dosiert waren. Und rein körperlich absolut alles (und die haben mich sowas von komplett auf den Kopf gestellt!!!) in Ordnung sei. … Man könne die Ursprungsdiagnose „Myasthenia gravis“ nicht bestätigen bzw. sie nicht mehr nachweisen.

Nach diesen 3 Wochen im „Hotel-mit-Vollpension“ hatte ich noch einen Termin in der Spezialsprechstunde in Münster. Die meinten, dass es „relativ normal“ sei, dass Patienten, bei denen die MG früh diagnostiziert worden wäre und die OP recht schnell gemacht worden sei, die Chancen auf Symptomfreiheit recht groß sei. => Das die MG aber noch immer vorhanden sei (wenn auch aufgrund der Wirkung von Imurek nicht mehr nachweisbar).

Nach und nach habe ich das Mestinon komplett ausgeschlichen und nehme jetzt nur noch 100 mg Imurek. Mir ging es besser, je weniger ich nahm. So gut, dass ich am Samstag von einem Single-Urlaub aus Korfu zurück gekommen bin. Jetzt will mein neuer Neurologe nach und nach (gaaanz langsam) auch das Imurek ausschleichen, wovor ich ehrlich gesagt noch Schiss habe, weil ich einfach Angst habe, dass diese Einstellungs-Tortour wieder losgeht.