Serkan, Jahrgang 1979

Erfahrungsberichte: Myasthenia gravis

Ende August diesen Jahres (2008) bemerkte ich auf einer Hochzeit eines Freundes, dass ich mich nicht lange auf der Tanzfläche halten konnte. Nach ein paar intensiven Tanzeinlagen musste ich mich nach Luft japsend hinsetzen. Ich habe es bemerkt, aber wohl wegen der ausgelassenen Stimmung und der Kraft raubenden Hochzeitsplanung nicht viel beigemessen. Am folgenden Tag fiel mir die Atemnot erneut auf, so dass meine Sorgen stieg. Doch ich führte es auf meinen straffen Krafttrainingseinhe iten im Fitnessstudio zurück, die anscheinend meine Atemhilfsmuskulatur zu beeinträchtigen schien – Fehler Selbstdiagnose!

Anfang September nahm ich einen Termin bei einem Internisten in Wuppertal wahr, dieser hörte meine Lungen ab, und überwies mich gelangweilt mit einer unklaren Diagnose weiter an einen Pneumologen/Lungenarzt. Da es in Wuppertal anscheinend nur einen Pneumologen gibt, und dieser mir erst 8 Wochen später einen Termin geben konnte, besorgte ich mir eigenständig einen Termin in einer Praxis in Münster – wo ich kurz zuvor sesshaft war. Am 10. September wurde ein Lungenvolumentest gemacht, der in der darauffolgenden Woche wiederholt werden sollte, um eine Entwicklung festzulegen. Innerhalb dieser Woche kamen weitere Symptome zu der Atemnot und der allgemeinen Erschöpfung hinzu. Ich bemerkte, dass meine Gesichtsmuskulatur nachließ, mein Lachen war nicht mehr derselbe und ich fing an Probleme beim Kauen und Schlucken zu bekommen. Irgendwann hing mein linkes Augenlid, welches ab und an von Doppelbildern begleitet wurde. Bei meinem nächsten Lungenarztbesuch wurde eine Röntgenaufnahme gemacht. Der Arzt erklärte, dass eine Aufhellung im rechten Mediastinum zu sehen sei. Er ging davon aus, es sei ein Lymphom. Ein CT wurde angeordnet. Der Radiologe aber konnte das Lymphom nicht bestätigen und schickte mich mit den Bildern zurück zum Arzt.

In der Arztpraxis schauten meine Freundin und ich die Bilder an. Es handelte sich dabei um einen 15x10x9cm großen Tumor. Dieser müsste Biopsiert werden, um herauszufinden um welchen Tumor es sich handele und ob er bösartig sei. Bumm, da sass der erste Kinnhaken. Ich wurde in die Raphaelsklinik in Münster überwiesen. Am nächsten Morgen wurde während eines erneuten CT Laufs eine Biopsie durchgeführt. Kurz darauf besuchte mich ein Neurologe und sagte: „Wenn ich sie mir so anschaue, dann seh ich eine Myasthenia Gravis!“ So wurde eine erste Diagnose gestellt, die auch darauf hindeutete, dass es sich bei meinem Tumor um ein Thymom handelt. Nach der Diagnose erhielt ich 4 x 60mg Kalymin, worunter meine Augen profitierten, jedoch die Kau- sowie Schluckbeschwerden, Erschöpfungszustand usw. gleichblieben.

Mein Pneumologe Herr Lingenfelser hat mir eindrücklich geraten mich in der Essener Ruhrlandklinik vorzustellen und ggf. auch dort operieren zu lassen. Diesen Rat habe ich befolgt und wurde am 9. Oktober 2008 operiert. Die Operation hat knapp 6 Stunden gedauert und wurde durchgeführt von OÄ Frau Feschner. Nach der OP erzählte sie mir, dass die OP gut verlaufen sei, jedoch bedauerlicherweise noch Herde des Tumors in Rippen- und Zwerchfell vorhanden sind, die nur debulkt (gekappt) aber nicht vollständig entfernt werden konnten. Es handele sich bei meinem Thymom um ein B2 Thymom im Stadium 4 – also mit Infiltrationen in der Thoraxwand.

Mit dieser Diagnose wurde mir flux von Seiten der Ruhrlandklinik ein Termin mit dem Tumorzentrum der Essener Uni Klinik vereinbart. Nachdem ich kurz vorgesprochen habe, riet mir Herr Dr. Schütt eine Chemotherapie mit anschließender Strahlentherapie zu machen.

In der Zwischenzeit hatte sich meine Myasthenie verschlechtert. Mein Erschöpfungszustände wurden immer häufiger, ich atmetet schlecht, konnte die Beine sowie Arme nicht gut heben und fühlte mich mit meiner Diagnose und meinem Zustand einfach nur mies. Es ging soweit, dass ich mich in die Neurologie der Helios Kliniken in Wuppertal einliefern ließ, weil ich mich nicht mehr versorgen konnte.

Dort wurde ein Tensilon Test gemacht – die ersten wunderschönen 5 Minuten seit langen in denen ich symptomfrei war. Ich rate jedem, der vor dem Tensilontest an Schluckbeschwerden leidet. Trinken, trinken, trinken. Super Gefühl, wenn es geht. Nachdem der Test positiv ausgefallen und alles andere außer einer MG in Frage kam, begann die Cortisontherapie. 10 mg Prednison zu Anfang mit 3 x 120 mg Kalymin und 180mg Mestinon retard.
Die Symptome verschlechterten sich leider von Tag zu Tag, so sehr dass ich nicht aufstehen konnte, nur Doppelbilder sah, meine Arme und Beine konnte ich kaum beugen. Die Ärzte sagten mir eine Verschlechterung voraus, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so massiv ausfallen würde. Ich blieb vom 21.10.2008 bis zum 30.10 in der Neurologie der Helios Kliniken in Wuppertal und wurde in die Onkologie der Uni Klinik Essen verlegt, um mit der Chemotherapie beginnen zu können. Die Behandlung der Myasthenie wurde hier mit einem guten Konsil in der Neurologie fortgeführt. Auch wenn langsam fing das Prednison, welches auf 15 mg erhöht wurde an zu wirken. Dabei wurde die Dosis des Kalymin auf 5x150mg erhöht. Nach der 1. Chemo, die über 5 Tage geht und die 3er Kombi Ifosfamid, Etoposid und Cisplatin beinhaltet, merkte ich auch eine Besserung der Myasthenie. Jedoch wurde ich zur endgültigen medikamentösen Einstellung in die Neurologie der Uni KLinik Essen weitervermittelt. Ich kann nur jedem Empfehlen sich wegen der MG an Fachkliniken zu wenden. Ich denke jeder Neurologe hat einen Myastheniker zu Gesicht bekommen und ihn auch behandelt, aber die Myasthenie ist leider eine Erkrankung, die bei jedem Individuell ist und um diese richtig und genau einstellen zu können, sollten erfahrene Ärzte aufgesucht werden.

Heute ist der 28. November und ich liege wieder in der Onkologie und bekomme meine 2. Chemo. Ich fühle mich, wenn auch durch die Chemo geschwächt viel besser. Ich kann kauen, schlucken, habe keine Doppelbilder, kann auch wenn nicht lange über Kopf arbeiten und gehen kann ich auch – wenn auch nur wackelig. Das ist schon Lebensqualität. Und ich weiß dass es besser wird. Ich bin mir auch sicher und werde den Glauben nicht daran verlieren, dass ich den Krebs und dazu die MG überwinden werde. Ich habe Vertrauen in meinen Körper und Geduld habe ich auch genug. Ich hab ja noch 2-4 Chemotherapien und eine Strahlentherapie vor mir. Deswegen erst den Krebs besiegen und dann kommt MG.

Ich möchte allen Betroffenen und Angehörigen mit auf den Weg geben, dass das Leben schön ist, mit allen seinen Facetten. Krankheiten gehören leider auch dazu, dass ist zumeist für uns junge Betroffene eine harte Nuss, die aber zu knacken ist. Ich glaube daran, dass meine MG zurückgehen wird und ich ein normales Leben führen werde.

Davon berichte ich dann in den nächsten Wochen.

Mittlerweile ist es Anfang Mai 2009 und seit meinem letzten Bericht ist sehr viel passiert. Meine Chemotherapie, die vom Oktober 2008 bis zum Januar 2009 ging hat sehr erfeuliche Ergebnisse geliefert. Die Restherde hatten sich nach dem 3. Zyklus sehr stark zurückentwickelt, so dass nach insgesamt vier Zyklen eine Strahlentherapie die Behandlung abrunden sollte.

Während der Chemotherapie hat sich meine MG von Woche zu Woche stetig verbessert. Natürlich auch mit der Kombination bzw. der Wirkung des Prednison (25 mg) und des Kalymin (4x150mg und 180 mg Retard zur Nacht), die mich um einiges mobiler als im Oktober und November machten. Jedoch zehrte die Chemo sehr an meinen Kräften und die Wochen zuvor im Rollstuhl bzw. in vorwiegend horizontaler Lage hatten meine Muskeln und meine Sicherheit in der Aufrechten Position schrumpfen lassen. Außerdem begleitete mich oftmals eine Angst wieder auf den Boden zu knallen, da es mir schon mehrere Male passiert ist.

Im Februar 2009 – während ich darauf wartete, dass die Chemo aus meinem Körper schwand – zeigten sich die ersten sichtbaren Nebenwirkungen des Prednison: Stiernacken, Gewichtszunahme, Hrismus und Verstimmungen. Aber auch die Chemo hatte ihre Narben hinterlassen: mein Gehör war kaputt. Ein ständiges Piepen begleitet mich seitdem, welches aber mittlerweile erträglicher geworden ist. Aber am Schlimmsten war bzw. ist die Neuropathie (Gefühlsstörungen und Taubheit in den Händen und Füßen). Denn ich wusste nicht mehr ob ich wegen der Neuropathie oder wegen der MG so wackelig auf den Beinen war. Das verunsicherte mich umgemein, ist jedoch rückläufig und wird sich meines Erachtens in den nächsten Wochen ganz remissieren.

Im März begann dann die Strahlentherapie. Zu Anfang hatte ich mich auch mit den Neurologen zusammengesetzt wegen dem Azathioprin, weil mir das Kortison mittlerweile Angst machte. Denn in so kurzer Zeit so viel zuzunehmen war schon schrecklich, weil man sich im Spiegel nicht wieder erkennt. Jedoch mussten sie die Strahlentherapie abwarten, weil das Azathioprin die Strahlenintensität verstärkt und währenddessen nicht verabreicht werden darf. So musste ich bis vor einigen Tagen darauf warten mit der Imurek Medikation beginnen zu können.

Zur Zeit bin ich sehr glücklich mit der MG. Denn ich kann mich ganz normal bewegen und fühle mich wieder lebendig, weil ich hier zur Zeit in der Reha auch wieder zu Kräften komme und merke das meine Grenzen doch viel viel viel weiter hinter meinen eigentlichen Vorstellungen liegen. Klar gibt es Momente wo sie sich meldet, aber nicht beeinträchtigt und so lange das so bleibt stellt es für mich kein Problem dar. Ich nehme es so hin und stelle mich darauf ein. Genauso wie ich dazu stehe an Krebs erkrkankt zu sein. Ich akzeptiere es und nehme alles in Betracht sollte es mal wieder so sein, dass ich eine radikale Therapie brauche. Aber ich gehe davon aus, dass sich der Krebs nicht wieder meldet.

Derzeit nehme ich auch nur noch 20 mg Predni, 4x90mg Kalymin und 50 mg Aza. Meine Antikörper liegen bei 35/nl. Normalwert sind 25 und drunter. Lediglich habe ich Doppelbilder wenn ich lange nach oben und zur Seite schaue, aber sonst nicht. Und ich weiss das es mit der Zeit bessern wird.

Auch habe ich mein Leben ganz umgestellt. Ich ernähre mich sehr gesund und bewusst und habe auch schon 5 Kilo abgenommen, trotz Kortison. Und es geht diesbezüglich immer weiter aufwärts. Und es wird nicht lange dauern und ich werde wieder mein Leben so aufnehmen können wie zuvor mit Sport und allen anderen Aktivitäten.
Und es hört sich blöd an, aber irgendwie bin ich froh an dem Thymom und der MG erkrankt zu sein. Sonst hätt ich mein Leben wohl nie geändert und wäre weiterhin sinnlos mit meinem Körper und meinem Geist umgegangen.