Annette, Jahrgang 1960

Erfahrungsberichte: Myasthenia gravis

Im Oktober 1985 hatte ich nach Meinung der Ärzte Sehnenscheidenentzündung in beiden Armen, nach 8 monatiger Tätigkeit, bei der ich den grössten Teil des Tages Schrauben eindrehen musste. Wenn der rechte Arm keine Kraft mehr hatte, schraubte ich mit dem linken Arm, bis der rechte sich wieder erholt hatte. Das ging eine Weile so, bis der Arzt mir für 2 Wochen einen Tapeverband an beide Arme verpasste. Nach dieser Ruhepause war’s wieder gut und ich konnte meine Arbeit wieder aufnehmen, allerdings wurde mir eine leichtere Bürotätigkeit zugeteilt.

Wenn ich heute darüber nachdenke, war dies vielleicht sogar das erste, ernste Anzeichen der MG.

In den nächsten Jahren traten immer wieder Schwächen in Armen und Beinen auf. Beim Autofahren musste ich beide Hände benutzen, um den Rückwärtsgang einzulegen, die Wäscheklammern konnte ich nur noch mit beiden Händen aufstecken, beim Einräumen von Tassen und Tellern in den Schrank kippte mir die Hand weg, beim Treppensteigen knickte mir am ersten Treppenabsatz das Knie weg und ich ging in die Hocke. Auch hatte ich hier schon kleine Probleme mit der Kaumuskulatur. Später kamen auch noch Nackenprobleme dazu. Sicherlich gab’s noch mehr Anzeichen die ich aber nicht wirklich ernst nahm. Da die Schübe in sehr grossen Abständen kamen, glaubte ich immer noch, das geht irgendwann wieder weg.

Im Urlaub 1989 trat dann das typische Symptom auf, die Ptose. Das Augenlid verschloss mir das halbe Auge. Zuhause ging ich dann zum Augenarzt, der mir Vitamin B verschrieb. Er überwies mich aber vorsorglich zum Neurologen, da er meinte, dass dies ein allgemeines Muskelproblem sei. Der Neurologe meinte, nur wenn das andere Auge sich auch nicht mehr öffnen lässt, müsste ich sofort zurückkommen, dann wär’s wohl was schlimmes!!! Die Ptose ging vorbei und ich hatte es auch schnell wieder vergessen.

Nach der Ptose kamen dann Doppelbilder. Am schlimmsten war es am Abend auf dem Nachhauseweg. Im Auto musste ich mir immer mit einer Hand ein Auge zuhalten, um die Strasse und Autos nicht doppelt zu sehen. Oder ich legte kurze Zwischenstops ein, damit sich die Augen erholen konnten. Das hat den Nachhauseweg natürlich erheblich verlängert. Am andern Tag haben mich Arbeitskollegen darauf aufmerksam gemacht, dass ich immer über die Mittellinie gefahren bin. Der Besuch beim Augenarzt war dann nicht mehr aufzuschieben.

Da ich Brillenträgerin bin, verschrieb mir der Arzt nach mehreren Sehtests Gläser mit Prismen und auch dieses Symptom wurde hiermit behoben. Doppelbilder hab ich nur noch ganz selten, z.B. wenn ich morgens die Brille noch nicht aufgesetzt hab.

Im Juli 1990 hatte ich dann im Urlaub erneut Schwächen in Armen und Beinen. Bei einem Ausflug konnte ich nicht mal mehr auf einen Hügel klettern und auf der Rückreise sind mir beim Buseinsteigen die Knie weggeknickt.

Da mein Mann glaubte, ich müsste unbedingt mal was für meine untrainierten Muskeln tun, haben wir eine Trimmpfad abgeklappert, laufen, turnen usw. Bei der letzen Station knickten mir meine Knie wieder weg und ich bin hingefallen. Diesmal war mein Mann Zeuge und hat mir geglaubt, dass mit mir irgendwas nicht stimmt.

Im Oktober 1990 ging es mir dann ganz schlecht und ich ging zu meinem Hausarzt. Der wusste auch nicht mehr weiter und wollte mich zu verschiedenen Ärzten schicken für diverse Untersuchungen. Da ich aber keine Lust mehr hatte, jedem Arzt von neuem meine Geschichte zu erzählen, bestand ich darauf dass er mich ins Krankenhaus überweist, wo vor Ort alle Untersuchungen gemacht werden können. Aber erst musste ich doch noch zu einem Neurologen ( ein anderer als 1989 ! ), der mich dann nach kurzer Untersuchung (ich weiss nicht mehr was) in die Neurologie ins Trierer Brüderkrankenhaus überwiesen hat.

Etwa zeitgleich erzählte mir mein Mann, dass auf seiner Arbeitsstelle ein Lehrjunge (16 Jahre) über fast genau die gleichen Symptome klagte wie ich. Ihn hätte man aber schon nach kurzer Untersuchung nach Würzburg überwiesen.

Diese Neuigkeit hab ich dann dem Neurologen im Krankenhaus erzählt und auf einmal wurden die Ärzte hellhörig. Jetzt wurden jede Menge Untersuchungen gemacht, u.a. Thymus CT, EKG, EEG, EMG, Tensilontest usw. und zum Schluss sollte sogar das Rückenmark punktiert werden oder so ähnlich. Aber dazu kam es dann nicht mehr.

Anfang November 90, nach 3 Wochen Krankenhaus, stand dann endlich die Diagnose: Myasthenia Gravis. Erst meinte der Arzt, es tut ihm schrecklich leid mir diese Nachricht zu überbringen, aber ich war irgendwie erleichtert, keine Simulantin zu sein. Da lag ich nun an meinem 30. Geburtstag im Krankenhaus und wusste nicht, was die Krankheit für mein weiteres Leben bedeuten soll. Ich wurde aus dem Trierer Krankenhaus entlassen und auf Mestinon gesetzt. Da ich keine Tabletten mitbekam, nur ein Rezept, musste ich erst mal auf der Heimfahrt eine Menge Apotheken abklappern, bis ich endlich in unserem Nachbarort eine Apotheke fand, die Mestinon vorrätig hatte.

Mit einer Überweisung in die Uni Klinik Würzburg (zu der Zeit anscheinend das einzige Krankenhaus mit Facharzt auf diesem Gebiet) wartete ich zu Hause auf einen Aufnahmetermin in die Neurologie zur Thymektomie.

Am 15. Januar 91 fuhr mich mein Mann dann in die Herz- und Thoraxchirurgie der Uni Klinik Würzburg. Hier hat mich der Neurologe Dr. med. Berthold Schalke, ein Facharzt auf dem Gebiet der MG, betreut und über die MG und die notwendige OP aufgeklärt. Auch hat er mich darauf hingewiesen, dass sich meine Mimik verändert hat. Nach langen, intensiven Gesprächen hatte ich zum erstenmal das Gefühl, hier wirst du verstanden . Am 17. Januar 91 wurde mir dann die Thymusdrüse herausoperiert. Als ich nach 3 Tagen Intensivstation zurück auf mein Zimmer kam, begannen für mich die bis dahin unbekannten Schluckbeschwerden. Ich konnte noch nicht mal mehr einen Schluck Tee trinken. Das hat sich dann etwas gebessert, aber Schluckbeschwerden habe ich bis heute noch. Die Betreuung in diesem Krankenhaus war optimal und ich hab mich nie alleine gefühlt so weit weg von zu Hause.

Am 29. Januar 91 wurde ich entlassen mit Mestinon 10mg 3×2 und Imurek 3x 50. (Imurek wurde mittlerweile in Zytrim 50 umgeändert weil es billiger ist. Aber es hat die gleiche Wirkung und ich vertrag es auch gut).

Nachdem ich 6 Monate krank geschrieben war, hab ich am 1. April 91 wieder angefangen zu Arbeiten. Es ging mir auch recht gut, aber Anfang Mai 91 bekam ich auf einem Kurztrip nach Hamburg eine schwere Krise mit schwersten Schluckbeschwerden. Ich nahm dann auf Anraten meines Hausarztes Mestinon Retard 1/2 morgens und 1/2 abends und Mestinon 10mg 3×2. Nach einer Woche konnte ich die Mestinon Retard wieder absetzen und das Schlucken ging wieder besser.

Ich bin auch weiter zu regelmässigen Kontrolluntersuchun gen nach Würzburg ins Krankenhaus gefahren, wobei mir auch die 2 Oberen der 6 Drähte ambulant (ohne Vollnarkose) herausoperiert werden mussten. Die Drahtspitzen waren zu nah unter der Hautoberfläche, und die Gefahr einer Verletzung war zu gross. Aber schön war dieser Eingriff nicht, eher schmerzlich, da die Drähte schon sehr verwachsen waren.

Im September 92 wurde die Dosis von Mestinon dann auf 10mg 1×2 herabgesetzt, nachdem sich mein Gesundheitszustand zusehends verbessert hatte. Aber nachdem ich dann wieder kleinere Krisen hatte, bin ich seit August 95 wieder auf Mestinon 60mg 1x morgens gesetzt .

Bis heute lass ich mir regelmässig alle 6-8 Wochen Blut abzapfen, um die Leber- und Blutwerte testen zu lassen. Eine Probe des Blutbildes wird bis heute auch noch an Dr. Schalke geschickt, der aber mittlerweile in der Uniklinik Regensburg ist. Leider stehe ich nicht mehr in Verbindung mit Dr. Schalke und werde nur noch von meinem Hausarzt betreut.

Alles in allem lebe ich recht gut mit der MG, nur habe ich seit etwa einem Jahr noch Angstattacken dazubekommen. Die muss ich noch in den Griff bekommen. Auch bin ich sehr Wetterfühlig, Stress vertrage ich überhaupt keinen und eine Erkältung haut mich auch heute noch total um. Da wir keine Kinder haben, davon wurde mir abgeraten, geh ich auch heute noch ganztags arbeiten (vermeide aber jeden Stress). Wenn’s geht verbringen wir zwei mal im Jahr unseren Urlaub auf Lanzarote, weil mir das frühlingshafte Klima dort sehr, sehr gut bekommt.

Den Schlußsatz möchte ich meinem Mann widmen: Mein Mann war mir in dieser ganzen Zeit eine wertvolle Hilfe und mit seiner Unterstützung können wir uns unser Leben doch recht angenehm gestalten.